Föderalismus heute und gestern

Wie präsentiert sich die Ausgestaltung des Föderalismus aktuell im 21. Jahrhundert in der Schweiz?

Mit der neuen Bundesverfassung von 1999 ist nicht nur die Autonomie der Kantone, sondern auch jene der Gemeinden verankert worden. Artikel 50 sichert ihnen dieses Recht «nach Massgabe des kantonalen Rechts» zu. Der Bund ist angehalten, bei seinem Handeln «die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden» zu beachten und dabei Rücksicht «auf die besondere Situation der Städte und Agglomerationen» zu nehmen. Da die Gemeindeautonomie auch schon vorher praktisch unbestritten war, ergaben sich dadurch nicht allzu grosse Veränderungen in der Aufgabenverteilung. Immerhin kann der Bund mit Berufung auf diesen Artikel direkten Kontakt mit Städten und Gemeinden aufnehmen. Ein Ansinnen, das bei kantonalen Stellen nicht gerne gesehen ist. Ihre Vertreter pochen gerne auf die kantonale Autonomie, die klar abgesichert ist. Kein Stand kann von oben aufgelöst oder fusioniert werden, auch eine politische Kontrolle durch den Bund ist ausgeschlossen. Selbstverständlich dürfen sie für die Erfüllung ihrer umfangreichen Aufgaben selber Steuern erheben. So normal dies hier Aufgewachsenen erscheinen mag, für Zugewanderte sind beispielsweise die unterschiedlich hohen Steuerbelastungen je nach Kanton und die verschiedenen Schulsysteme oft eine rätselhafte Angelegenheit.

Abgesehen von der Bildung sind es aber selten die weitreichenden Kompetenzen der Kantone, welche für politischen Gesprächsstoff sorgen. Im Mittelpunkt stehen eher jene Gebiete, wo die Kantone für den Bund Gesetze vollziehen. So einfach und linear wie dies tönt, ist der Prozess allerdings nicht: Das eidgenössische Parlament entscheidet nicht in stillen Kammern, um dann die Bundesverwaltung mit dem Vollzug zu betrauen, welche entsprechende Weisungen an die Kantone weitergibt. Die Kantone und verschiedene kantonale Konferenzen sind bereits bei der Ausarbeitung des Gesetzesprojekts in Form von Anhörungen oder Expertengesprächen beteiligt. Bevor der Bundesrat einen Vorschlag ins Parlament gibt, schickt er es interessierten Kreisen zur Vernehmlassung. Die wichtigsten Adressaten sind dabei zweifellos die kantonalen Standes- und Staatskanzleien. Gegen den Willen der Kantone lassen sich Gesetze kaum durchsetzen.

Föderalismus gestern

Der föderale Staatsaufbau ist zu einem grossen Teil in Übersee erfunden worden. Mit den Vereinigten Staaten ist Ende des 18. Jahrhunderts der erste Bundesstaat ausgerufen worden. Vorher gab es nur Einheitsstaaten oder Staatenbünde. Einer dieser Staatenbünde, die Eidgenossenschaft, zeigte sich anfangs des 19. Jahrhunderts als zerstrittenes Gebilde, das um sein Weiterbestehen kämpfte. Die Erfahrungen während der aufgezwungenen Helvetischen Republik sprachen gegen die Schaffung eines neuen zentralistischen Staates, der Staatenbund schien zu locker und nicht zukunftsträchtig. Die föderalen Ideen aus Übersee zeigten schliesslich einen gangbaren Weg auf: die Gründung des Bundesstaates, in welchem den Kantonen grösstmögliche Autonomie und der Bundesebene nur wenige Kompetenzen erteilt wurden. Der Historiker Herbert Lüthy beschrieb in seinem Aufsatz «Vom Geist und Ungeist des Föderalismus» die Schweiz von 1848: «Die Föderation ist die völkerrechtliche Mediatisierung zuvor unabhängiger Gemeinwesen unter der gemeinsamen Bundesgewalt, die fortan im internationalen Recht allein als Staat auftritt.» Unter der neuen Verfassung fanden sich die freisinnig-protestantischen Kantone und die Minderheit der konservativ-katholischen Kantone sowie die vier Sprachregionen zusammen. Die erfolgreiche föderalistische Überlebensstrategie bestand zum einen in der grossen Autonomie für die Kantone, zum anderen im Prinzip der Volkssouveränität.

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Letzte Änderung 08.06.2020

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