Mit der sogenannten Phänotypisierung sollen die Strafverfolgungsbehörden künftig mehr Informationen aus einer DNA-Spur herauslesen und damit ihre Ermittlungsarbeiten besser und rascher fokussieren können. Die eidgenössischen Räte haben in der Schlussabstimmung vom 17. Dezember 2021 der Änderung des DNA-Profil-Gesetzes zugestimmt. So sollen aus einer DNA-Spur neben dem Geschlecht weitere äusserlich sichtbare Merkmale einer Person wie beispielweise Haar- und Augenfarbe untersucht werden können. Bundesrat und Parlament wollen damit bei Verbrechen neue Methoden für die Ermittlungsarbeiten nutzbar machen und so die Sicherheit der Bevölkerung verbessern.
- Die Strafverfolgungsbehörden sollen ihre Ermittlungsarbeit mit der Phänotypisierung künftig besser und rascher fokussieren können.
- Der Bundesrat will die neuen, forensischen Methoden bei Verbrechen wie etwa Vergewaltigung und Mord nutzbar machen und damit eine ermittlungstechnische Lücke schliessen.
- In anderen Ländern hat sich die Phänotypisierung bereits als wirksames Instrument für die Aufklärung von Verbrechen erwiesen.
- Die Festlegung der Löschfristen von DNA-Profilen wird vereinfacht und die Suche nach Verwandtschaftsbezug explizit im Gesetz verankert.
In den vergangenen Jahren machte die Wissenschaft enorme Fortschritte. Heute lassen sich aus einer DNA-Spur mittels der sogenannten Phänotypisierung weitere äusserliche Merkmale herauslesen:
Augenfarbe
Die Farben Blau und Dunkelbraun können mit einer 90- bis 95-prozentigen Sicherheit bestimmt werden. Die Zwischenfarben (z.B. Grün oder Graumeliert) lassen sich schwieriger bestimmen.
Haarfarbe
Die Haarfarben Rot, Blond, Braun oder Schwarz lassen sich mit einer hohen Zuverlässigkeit bestimmen: Blond rund 69%, Braun 78%, Rot 80%, Schwarz 87%. Bei Blond ist zu berücksichtigen, dass bei einem Teil der blondhaarigen Bevölkerung während der Adoleszenz eine Veränderung der Haarfarbe zu Dunkel-blond/Braun auftritt.
Hautfarbe
Weisse und sehr dunkel pigmentierte Haut kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden. Mit den heute zur Verfügung stehenden Tests können inzwischen auch Klassifikationen der unterschiedlichen dazwischenliegenden Hautfarben vorgenommen werden. Die Vorhersagewahrscheinlichkeit liegt heute aktuell für die weisse Hautfarbe bei 98%, für die schwarze Hautfarbe bei 95% und für Mischformen bei 84%.
Biogeografische Herkunft
Anhand spezifischer Merkmale der DNA lässt sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sagen, ob eine Person aus einer der Weltregionen Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Südwestasien oder der indigenen Bevölkerung in Ozeanien oder Amerika stammt.
Alter
Mit einer DNA-Analyse lässt sich das Alter eines Spurenlegers oder einer Spurenlegerin bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen, sofern dieser in etwa der Altersgruppe der 20- bis 60-jährigen angehört. Bei jüngeren und auch bei älteren Menschen lässt sich das Alter weniger genau bestimmen, und es kann zu grösseren Abweichungen kommen.
Die fünf Merkmale zeigen ihren Nutzen auch in Kombination. Zum Beispiel, wenn die Phänotypisierung ergibt, dass die Person über 70 Jahre alt ist, müsste dies darauf hindeuten, dass sie weisse Haare hat.
Es kommt vor, dass die Datenbank beim Abgleich einer Tatortspur keinen Treffer meldet und alle Ermittlungen ins Leere führen. In solchen Fällen ist die Durchführung eines Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug eine weitere Möglichkeit. Denn damit kann jene Person identifiziert werden, von der die DNA stammt. Die DNA wird aus den biologischen Spuren am Tatort sichergestellt. Um zu klären, ob sich in der Datenbank Personen befinden, die aufgrund der Ähnlichkeit mit dem DNA-Spurenprofil mit der Spurengeberin oder dem Spurengeber verwandt sein könnten, wird in der nationalen Datenbank CODIS ein weiterer Suchlauf durchgeführt. Gibt es Übereinstimmungen, wird in der Verwandtschaft nach Personen gesucht, die als Täter oder Täterin in Frage kommen.
Gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts will der Bundesrat nun den Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug im Gesetz ausdrücklich verankern. Dieser Suchlauf ist ebenfalls nur für die Aufklärung von Verbrechen zulässig und wird durch die Staatsanwaltschaft angeordnet.
Die Rechtskommission des Nationalrates hat in einem Postulat den Bundesrat aufgefordert, die geltende Regelung zur Löschung der DNA-Profile in der Datenbank zu evaluieren. Der Bundesrat ist bei seiner Analyse zum Schluss gekommen, dass die Löschregelung von DNA-Profilen heute kompliziert und mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden ist. So ist zum Beispiel die Löschfrist abhängig vom Verlauf des Strafvollzugs. Ändert sich die Länge einer Haftstrafe oder wird ein Täter rückfällig, so muss die Löschfrist seines DNA-Profils in der DNA-Datenbank nachträglich angepasst werden. Dies soll künftig vereinfacht werden: Die Aufbewahrungsdauer der DNA-Profile in der DNA-Datenbank wird einmalig im Urteil festgelegt und ändert sich später nicht mehr.
Auch die Neuregelung ist dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismässigkeit ausgerichtet: Sie ist weiterhin in hohem Mass ausdifferenziert, basiert also auf einer sorgfältigen Abwägung der Interessen der Strafverfolgung gegenüber jenen der betroffenen Person. Die DNA-Profile werden nur soweit und solange aufbewahrt, wie dies für die Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist.
Ermittlungen fokussieren
Der praktische Nutzen der Phänotypisierung lässt sich am Fall der Vergewaltigung und Ermordung der 16-jährigen Marianne Vaatstra im Jahre 1999 in den Niederlanden aufzeigen: Der erste Tatverdacht fällt auf die Bewohner eines nahegelegenen Asylheims. Eine DNA-Massenuntersuchung im Gebiet um den Tatort verläuft ergebnislos. In dieser Situation entschliessen sich die Strafverfolgungsbehörden zum ersten Mal überhaupt, eine Phänotypisierung der am Tatort sichergestellten Blut- und Spermaspuren vorzunehmen. Es stellt sich heraus: Beim Täter muss es sich um einen Westeuropäer handeln. Damit lassen sich die folgenden Ermittlungen eingrenzen. Der Täter kann schliesslich ermittelt werden.
Auf mögliches Motiv hinweisen
Es geht um einen Fall von versuchter Brandstiftung: Eine Person, die eine Moschee in Brand stecken will, lässt am Tatort einen Handschuh zurück. Auf der Innenseite des Handschuhs wird DNA sichergestellt. In der DNA-Datenbank wird jedoch keine Übereinstimmung gefunden. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit ein europäischer Mann mit blonden Haaren und blauen Augen ist. Diese Informationen geben der Polizei einen wichtigen Hinweis darauf, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handeln könnte.
Kreis der Verdächtigen einschränken
Auf dem Land, in einem kleinen holländischen Dorf, geschieht ein sexueller Übergriff. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit von asiatischer Herkunft ist. Dieses Resultat schränkt den Pool möglicher Verdächtiger dramatisch ein: In diesem Dorf lebt nämlich nur eine Person – adoptiert von einem niederländischen Ehepaar – asiatischer Herkunft. Die DNA dieser Person stimmt mit der DNA der am Tatort sichergestellten Spermaspuren überein.
Opfer- und Zeugenaussagen einordnen
Übereinstimmende DNA-Profile von Spermaspuren beweisen, dass derselbe Täter zwei sexuelle Übergriffe begangen hat. Ein Opfer beschreibt den Täter als einen Westafrikaner, das andere ist überzeugt, dass es ein Inder ist. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit indischer Abstammung ist. Diese Informationen helfen der Polizei, sich gezielt auf die richtige Personengruppe zu konzentrieren.
Vergewaltigungsfall in Frankreich
Der Fall «Élodie Kulik» ist ein konkretes Beispiel eines Suchlaufs mit Verwandtschaftsbezug. Die 24-jährige Élodie Kulik wird 2002 in Nordfrankreich vergewaltigt und anschliessend ermordet. Die Tat geschieht nachts in einem abgelegenen ländlichen Gebiet. Jegliche Zeugenaussagen fehlen. Aus dem DNA-Profils der sichergestellten Spermaspur wird als erstes eine Massenuntersuchung im Gebiet um den Tatort durchgeführt. Dieser Abgleich, die Überprüfung von mehreren Tausend weiteren DNA-Profilen im französischen DNA-Profil-Informationssystem wie auch auf europäischer Ebene verlaufen ergebnislos. Deshalb entschliesst sich die Gendarmerie Nationale zum ersten Mal überhaupt, einen Suchlauf mit Verwandtschaftsbezug einzusetzen. Auf diese Weise stossen die Strafverfolgungsbehörden auf einen Mann, dessen Familie in der Nähe des Tatorts lebt. Gestützt auf herkömmliche Ermittlungsmethoden, u.a. Auskünfte aus öffentlichen Registern, wird ein Stammbaum dieses Mannes erstellt. Es stellt sich heraus, dass dieser Mann zwei Söhne hatte. Einer der Söhne konnte wegen seines jungen Alters zum Tatzeitpunkt als Täter ausgeschlossen werden. Der ältere Sohn war kurz nach dem Zeitpunkt der Tat verstorben; das erklärt, weshalb die Massenuntersuchung ergebnislos verlaufen war. Der Leichnam wird exhumiert – das DNA-Profil stimmt mit dem Spurenprofil überein. So ist der Täter neun Jahre nach der Tat identifiziert.
Begriffsklärungen zur DNA-Analyse: Was ist eigentlich…
Exemplarische Fallbeispiele aus der Praxis
Begriffsklärungen zur Phänotypisierung: Was ist eigentlich…
Exemplarisches Fallbeispiel aus der Praxis
Begriffsklärungen zum Suchlauf: Was ist eigentlich…
Rechtliche Grundlagen
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DNA-Profil-Gesetz
(SR 363)
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DNA-Profil-Verordnung
(SR 363.1)
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Dokumentation zum Gesetz
Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen. Am 1. Januar 2005 in Kraft getreten.
Letzte Änderung 14.11.2022