Interview, 10. Mai 2024: Tages-Anzeiger; Charlotte Walser, Larissa Rhyn
Mehr Ukrainerinnen und Ukrainer sollen Arbeit finden, so der Justizminister. Zur Debatte um Roma sagt der Bundesrat: «Ukrainische Roma mit zwei Pässen müssen die Schweiz verlassen.»
Bundesrat Jans, bis Ende des Jahres sollen 40 Prozent der ukrainischen Geflüchteten arbeiten. Heute sind es 24 Prozent. Wie wollen Sie das schaffen?
Es müssen einfach alle an die Arbeit: Bund und Kantone, Unternehmen. Aber auch die Menschen aus der Ukraine. Sie müssen sich noch stärker bemühen, Arbeit zu finden.
Und darauf soll ein neuer Integrationsbeauftragter hinwirken?
Das ist nur eine Massnahme unter vielen. Aber ja. Adrian Gerber ist jetzt schon beim Staatssekretariat für Migration für Integration zuständig. Neu hat er die spezifische Aufgabe, Unternehmen und Geflüchtete besser zusammenzubringen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Kanton Appenzell Innerrhoden arbeitet ein grosser Teil der ukrainischen Community in derselben Firma, der KUK Electronic AG. Als Konsequenz ist die Arbeitsmarktintegration in diesem Kanton hoch. Adrian Gerber soll helfen, das auch anderswo zu ermöglichen.
Sie schaffen also primär einen neuen Titel. Das klingt stark nach Symbolpolitik.
Nein, wenn es Herrn Gerber gelingt, zehn Leute an einen Arbeitsplatz zu führen, hat er seine Anstellung bereits finanziert – wegen der Einsparungen bei der Sozialhilfe. Und ich hoffe natürlich, dass er sehr viel mehr bewirken kann. Aber wir haben ja auch noch weitere Massnahmen beschlossen.
Welche Rolle haben die Unternehmen – waren sie bisher zu passiv?
Ich habe auch mit Unternehmerinnen und Unternehmern gesprochen, die sagten: «Wir sind bereit. Wir können auch mit Menschen umgehen, die fremdsprachig sind, und wir haben Stellenangebote. Aber es bewerben sich keine ukrainischen Geflüchteten.» Hier braucht es einen Schritt mehr, eine bessere Koordination.
Viele Geflüchtete sind Frauen mit Kindern. Sie können sich teils keine Kinderbetreuung leisten und deshalb nicht arbeiten. Da sollten sich nicht nur die Firmen, sondern auch die Kantone zuständig fühlen.
Die Kinderbetreuung muss vor Ort organisiert werden. Die Kantone sind hier zuständig. Sie sind jetzt in der Pflicht. Deshalb erhöht der Bundesrat den Druck auf die Kantone. Damit sie die nötigen Rahmenbedingungen schaffen.
In manchen Kantonen – vor allem in der Westschweiz – arbeiten nur die wenigsten ukrainischen Geflüchteten. Versagen diese Kantone?
Der Aufruf an die Kantone ist klar, dass sie sich stärker engagieren sollen. Der Bundesrat will auch, dass wir einen Malus prüfen. Bis Ende 2024 sollen 40% der Schutzsuchenden eine Arbeit haben, 45% bis Ende 2025. Wenn Kantone zu wenig für die Integration machen, soll das Folgen haben – welche, prüfen wir jetzt gemeinsam mit den Kantonen. Bis nächsten Frühling werde ich dem Bundesrat einen Vorschlag präsentieren. Aber Achtung: Der Vergleich zwischen den Kantonen ist nicht ganz einfach. So fällt es etwa den Geflüchteten leichter, Deutsch zu lernen als Französisch. Die Westschweizer Kantone haben deshalb einen Nachteil.
Wie könnte dieser Malus aussehen? Eine Kürzung der Integrationspauschale?
Wie gesagt, wir prüfen das. Das ist also völlig offen.
Zur Diskussion stand, dass Ukrainerinnen und Ukrainer eine normale Aufenthaltsbewilligung erhalten, sobald sie arbeiten. Sie hatten das als gute Idee bezeichnet, jetzt wird es nicht eingeführt. Weshalb?
Der Bundesrat wird im Herbst im Gesamtkontext darüber entscheiden. Dazu wird er auch die Situation in Europa berücksichtigen.
Sie haben vor kurzem gesagt, der Schutzstatus S müsse neu gedacht werden. Was meinten Sie damit?
Wir befinden uns in einem Dilemma. Wir wollen, dass die Leute zurückkehren, aber auch, dass sie bei uns arbeiten. Die Leute lassen sich hier nieder, ihre Kinder gehen zur Schule, finden Anschluss. Je besser integriert die Menschen im Arbeitsprozess sind, desto schwieriger wird es, ihnen irgendwann zu sagen: «Ihr müsst wieder zurück.»
Der Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg und die SVP fordern, dass der Schutzstatus S aufgehoben wird, weil er missbraucht werde. Ist das eine Option?
Der Bundesrat hat bisher klar die Haltung vertreten, dass eine Aufhebung des Status S nichts bringt. Es würde wahrscheinlich dazu führen, dass ein Grossteil der Leute ein Asylgesuch stellt. Dann würden sie wohl vorläufig aufgenommen, weil wir sie nicht in ein Kriegsgebiet zurückschicken können. Wir gewinnen dadurch also nichts. Wir würden die Leute nur in ein Asylverfahren schleusen, wodurch ein grosser Aufwand entstünde. Wenn wir zudem als einziges Land die Regeln anpassen, bringt das auch nichts. Zentral ist, was international entschieden wird.
Neben Bern berichten auch andere Kantone, Roma würden plötzlich wieder verschwinden. Wird der Schutzstatus missbraucht?
Wir nehmen diesen Vorwurf sehr ernst und gehen ihm nach. Es ist klar: Einen Missbrauch unseres Asylwesens wollen wir nicht. Einzelne Roma-Familien sind oft eine zusätzliche Herausforderung für Kantone und Gemeinden, weil sie ihre Kinder nicht in die Schule schicken oder ein Dorf plötzlich wieder verlassen. Bislang erfassen wir nicht, welche Ethnie die Schutzsuchenden haben. Darum können wir nicht sagen, wie gross das Problem wirklich ist. Aber ein Teil der Roma hat auch zwei Pässe. Sie haben neben der ukrainischen noch eine andere Nationalität.
Welche Nationalität ist am häufigsten? Die ungarische?
Es geht um die Länder, die an die Westukraine grenzen. Wir sind mit den Botschaften dieser Länder im Kontakt, damit sie uns bei Hinweisen möglichst schnell die nötigen Informationen zukommen lassen. Ukrainische Roma mit zwei Pässen müssen die Schweiz verlassen und in ihre zweite Heimat.
Funktioniert das denn?
Ich bekomme das Signal, dass die Zusammenarbeit funktioniert.
Offenbar geht es auch um illegal erworbene Pässe. Was tun Sie dagegen?
Die Zahl von gefälschten Pässen ist relativ klein, wir haben bisher knapp 30 Fälle entdeckt. Experten des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit unterstützen das SEM (Anm. d. Red: Staatssekretariat für Migration) bei der Überprüfung. Illegal erworbene Pässe sind dagegen schwierig zu erkennen. Aber auch hier geht das SEM allfälligen Hinweisen konsequent nach. Für Personen aus gewissen westlichen Oblasten gibt es zudem keine Rückkehrhilfe mehr.
Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit Verschärfungen angekündigt: 24-Stunden-Verfahren, die Personen aus Nordafrika abschrecken sollen. Aktuell kommen nun weniger Personen aus diesen Ländern. Liegt das tatsächlich an den kürzeren Verfahren?
Es gibt schon Hinweise darauf, dass sich das herumgesprochen hat. Die Zahlen sind markant zurückgegangen. Aber wir müssen das jetzt genau beobachten.
Was wurde aus den anderen Massnahmen, mit denen Sie verhindern wollten, dass Maghrebiner am Freitag in die Asylzentren kommen und am Montagmorgen wieder gehen, bevor sie registriert werden? Werden die Asylzentren nun am Wochenende geschlossen?
Wir müssen sicherstellen, dass vulnerable Personen Zugang zu den Asylzentren haben. Deshalb prüfen wir jetzt statt der Schliessungen ein Pikett-System für eine Registrierung am Wochenende. Die Fingerabdrücke sollen also auch an Wochenenden abgenommen werden. Das hat die gleiche Wirkung, wir können aber den Schutz vulnerabler Personen sicherstellen.
Waren Sie etwas voreilig mit Ihren Ankündigungen? Die SVP nennt Sie bereits Ankündigungsminister.
Nein, ich bin jemand, der die Dinge angehen will. Ich habe gesagt, ich würde das prüfen. Genau das habe ich getan.
Bürgerliche Parlamentarier fordern, dass abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea in einen Drittstaat gebracht werden. Ähnlich wie es Grossbritannien tut. Warum sind Sie dagegen?
Grossbritannien lagert die Verfahren nach Ruanda aus. Aus meiner Sicht ist völlig unklar, was das bringt, und es ist sehr aufwendig. Ich habe den Eindruck, dass es da auch ein wenig um Wahlkampf geht. Man will zeigen, dass man etwas tut.
Das kann abschreckend wirken.
In unserem Parlament wird diskutiert, abgewiesene Asylsuchende in ein Nachbarland ihres Herkunftsstaates zu bringen. Wenn das Parlament das beschliesst, prüfen wir das. Ich glaube aber, dass die Länder nicht wirklich daran interessiert sind. Man müsste ihnen sehr viel bieten. Wir könnten auch nicht sicherstellen, dass die Menschenrechte dort eingehalten werden, und das ist für mich zentral.
Die Schweiz hat 2023 eine rekordhohe Zuwanderung in den Arbeitsmarkt verzeichnet. Das letzte Mal, als die Zahlen ähnlich hoch waren, wurde die Masseneinwanderungsinitiative angenommen. Nun ist eine ähnliche SVP-Initiative eingereicht worden. Ziehen Sie einen Gegenvorschlag in Betracht?
Der Bundesrat hat dazu noch nichts beschlossen.
Und Ihre persönliche Meinung?
Ich habe ohnehin den Auftrag, Massnahmen zu erarbeiten, um das inländische Fachkräftepotenzial besser auszuschöpfen – etwa jenes von Frauen und älteren Arbeitnehmenden. Das ist für mich eine der möglichen Antworten auf die Initiative: Die Unternehmen sollen Personen einstellen, die bereits in der Schweiz sind.
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Letzte Änderung 10.05.2024