Arbeitsmethode von LINGUA – Das Gespräch als Basis der Analyse

Um eine Herkunftsanalyse durchzuführen, wird vom Experten oder einem speziell ausgebildeten Interviewer, ein Gespräch mit dem Probanden geführt, welches aufgezeichnet wird. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von der in vielen Staaten benutzten Methode des Interviews durch den Asylbefrager/-entscheider1) mittels Dolmetscher. Mehrere Gründe sprechen für das direkte Gespräch durch den Experten oder einen speziell ausgebildeten Interviewer: Es können so die für den Experten relevanten Fragen gestellt werden, sowohl was die Landeskunde als auch was die vom Probanden angegebenen Sprache(n) betrifft; das Gespräch wird ausserhalb des Kontexts der Asylbefragung geführt, und es wird auch nicht auf Asylgründe eingegangen; der Experte bzw. der Interviewer unterhält sich mit dem Probanden in allen von ihm angegebenen Sprachen (falls möglich); es steht genügend vom Probanden gesprochenes Material zur Verfügung, da Doppelspurigkeiten2) (Übersetzung/Rückübersetzung) vermieden werden.

Während des Gesprächs und in der darauf folgenden Analyse muss sich der Experte immer auf die Angaben des Probanden und auf sein Profil stützen und dementsprechend seine Sprechweisen und Aussagen bewerten. Gewisse Angaben zum Profil des Probanden werden zu Beginn jedes Interviews genau abgeklärt. Dazu gehören nicht nur Herkunftsregion und gesprochene Sprachen, sondern auch ethnische Zugehörigkeit, Herkunft der Familie, Ausbildung und ausgeübter Beruf. Das bedeutet, dass auch die Themen des Gesprächs dem Bildungsniveau und sozialen Hintergrund des Probanden angepasst und seine Kenntnisse und Sprachkompetenz eben im Hinblick auf seine Biographie evaluiert werden müssen. Es ist wichtig, dass das Gespräch in einer möglichst natürlichen und spontanen Weise geführt werden kann, so dass gerade auf der linguistischen Ebene die bestmögliche Datensammlung erreicht werden kann. Dies ist nicht immer leicht angesichts der Umstände, unter denen die Gespräche stattfinden. Die Gesprächsführung bildet daher einen wichtigen Bestandteil in der Ausbildung von neuen Experten und war auch Gegenstand eines von LINGUA initiierten Forschungsprojekts3). Der Experte tritt via Telefon in Kommunikation mit dem Probanden. Aus Sicherheits- und Anonymitätsgründen soll vermieden werden, dass Experte und Proband einander gegenüber sitzen. Der Gebrauch des Telefons ermöglicht zudem, mehrere Interviews am selben Tag durchzuführen, obwohl sich die Probanden an ganz verschiedenen Orten in der Schweiz befinden. Wenn ein Experte im Ausland lebt, kann die Kommunikation über eine Telefonkonferenzschaltung hergestellt werden.

Das Gespräch, welches in der Regel ungefähr 45 bis 60 Minuten dauert, wird aufgezeichnet. Diese Aufnahme stellt die legale Grundlage für die Analyse dar.

Der Experte kann sich so das Gespräch so oft wie nötig anhören, um die Analyse zu vervollständigen. Bei Bedarf kann die Aufnahme weiteren Experten zur Bearbeitung geschickt werden. Letzteres erlaubt es, Sprach- oder Länderkenntnisse verschiedener Experten zu kombinieren und somit auch komplexere Fälle adäquat zu behandeln. Es ermöglicht auch, neue Experten zu testen oder aber die Qualität des Gesprächs und/oder die Qualität der von einem anderen Experten erstellten Expertise zu überprüfen.


1) Asylbefrager/-entscheider: Dieser Begriff bezeichnet eine Person innerhalb der Administration welche für die Dossiers der Asylsuchenden oder illegalen Ausländern zuständig ist und den Asylentscheid, bzw. den Rückkehrentscheid fällt. 

2) Vgl. dazu MARYNS Katrijn: «Identifying the asylum seeker: reflections on the pitfalls of language analysis in the determination of national origin». The International Journal of Speech, Language and the Law. Formerly Forensic Linguistics. Birmingham, 2004, vol. 11 (2), pp. 240-260; Beitrag (mündliche Kommunikation) von Jan den Thije at the Workshop «Language Analysis in Refugee Status Determination», at the 16th Sociolinguistics Symposium, Limerick, Ireland, 6.-8.7.2006
http://www.ul.ie/ss16/WS06.html
 

3) LINGUA verfügte im Jahre 2006/2007 über einen Forschungskredit, der spezifisch zur Erforschung von Interviews eingesetzt werden sollte. Im erwähnten Forschungsprojekt ging es sowohl darum, ein besseres Verständnis für die konkreten Rahmenbedingungen, unter denen die Interviews geführt werden, als auch eine Verbesserung der Interviewqualität, d.h. sowohl des tatsächlichen Verlaufs als auch der Vorbereitung des Gesprächs durch den Interviewer, zu erreichen.

Letzte Änderung 06.07.2021

Zum Seitenanfang